2. Praxis

 

I. Tour

29. September - 19. Oktober 1993

Eigentlich wollte ich erst Mitte Oktober mit der praktischen Arbeit beginnen, aber weil am 20. September ein Anruf aus Nairobi kam, 'meine' Leopardin mit dem kurzen Schwanz sei wieder mit ihrem Jungen aufgetaucht, flog ich also kurzentschlossen etwas eher. Diese Leopardin hatte ich nämlich im Januar mit dem bekannten Kollegen Norbert Rosing zusammen ausgiebig fotografiert, als das Kleine etwa 3 Monate alt war. Zu gerne würde ich den kleinen Leoparden wiedersehen, jetzt, wo er über ein halbes Jahr älter war.

In den ersten beiden Tagen war die Leopardin nicht zu finden. Vielleicht hatte sie das Gebiet schon wieder verlassen, um eine Wasserstelle zu finden, denn es war im Augenblick extrem trocken in der Mara. Im April hatte ich die beiden schon einmal zwei Wochen lang intensiv gesucht, ohne sie auch nur einmal zu entdecken. Ich wollte zu gerne den weiteren Lebensweg des kleinen Leoparden fotografisch dokumentieren, aber es sollte anscheinend nicht sein...

Dafür trafen wir heute morgen eine Gepardin mit drei kleinen Jungen. Sie erbeutete eine trächtige Thomsongazelle, und wollte die Beute in den Schatten unseres etwa dreißig Meter entfernt stehenden Wagen ziehen. Da ich von der Idee der Gepardin nicht so begeistert war, fuhren wir das Auto ein Stück fort. Sie ließ sich aber nicht abschütteln, und zog die Beute wieder in Richtung Auto. Da ich nicht wollte, daß die Gepardin nun ihre Beute durch die halbe Savanne ziehen mußte, blieben wir also stehen, und sie verschwand mit der Beute und ihren drei Kindern unter unserem Fahrzeug - aus war es mit der fotografischen Dokumentation des Lebens der wilden Tiere in Afrika. Durch den Wagenboden dringt leider keine Kamera.

Nach einer halben Stunde kamen dann zum Glück zwei Holländer mit einem Landrover, fuhren ganz dicht an unseren Wagen, und ich konnte durch die Fenster in das andere Auto umsteigen. So gelangen mir dann doch noch einige Aufnahmen der Geparde unter unserem Fahrzeug, nachdem wir etwas Abstand zwischen die beiden Autos gebracht hatten.

Geparde lieben es (manchmal auch Leoparden) im Schatten von Fahrzeugen zu ruhen, weil sie dort Schutz vor der Hitze haben, und unter den Fahrzeugen auch nicht von Hyänen, Löwen oder Geiern gestört werden. Sie können dort in Ruhe ihre Beute verzehren.

Mit dem 4.0/600 mm AF bin ich hier in Afrika nicht sonderlich glücklich. Auf einem Neiger ist es zu langsam, und auf einer Kugel muß man immer sehr aufpassen, daß es nicht wegkippt.. Es ist mit 6 kg einfach zu schwer, um schnell und entspannt damit reagieren zu können. Im März 1994 soll das Nikkor 4.0/500 mm mit AF kommen und 'nur' 4 kg wiegen. Wahrscheinlich ist das ein für Afrika wesentlich besser geeignetes Teleobjektiv. Was man durch die fehlenden 10 cm Brennweite versäumt, holt man sicher dreimal durch die größere Schnelligkeit und Beweglichkeit wieder herein.
Außerdem habe ich es langsam satt, immer ein 6 kg Objektiv durch die Gegend zu schleppen.

Meine Meinung über das 4.0/600er habe ich bereits vier Stunden später schon wieder revidiert.
Denn da saß plötzlich ein Anubispavian vor mir, der genüßlich das Bein eines Impalas verzehrte mit beiden Händen, genau so wie Menschen oft Eisbein essen. Ein grandioses Motiv. Aber als naher Verwandter war er leider so intelligent, daá er mir nicht gestattete, seine Komfortdistanz zu unterschreiten, und die war leider so groß, daß ich mit dem 600er plus 1,4 x Konverter arbeiten mußte.
Das ergab Blende 5,6 und 1/45 sek. mit Panther-100 und 1/90 sek. bei Elite-200. Mal sehen, welche Dias besser werden - 1/45 sek. bzw. 1/90 sek. bei 840 mm Brennweite sind schon recht heikel.

Bei diesem Motiv war ich wieder mal sehr froh, daß es heute Autofokus gibt. Denn ich war so damit beschäftigt Verwacklungen zu vermeiden, daß Bild zu gestalten, die Höhepunkte dieser so menschlichem Verhalten ähnelnden Eßrituale gut ins Foto zu bekommen, daß ich froh war, nicht auch noch auf die optimale Entfernungseinstellun achten zu müssen. Denn die ist ja bei einer so langen Brennweite von 840 mm - und dem das Sucherbild abdunkelnden Konverter - besonders diffizil.

Ärgerlich war, daß der Pavian - vielleicht auf Grund der freudigen Erregung durch die leckere Mahlzeit - dauernd seinen roten Penis herausstehen ließ. Das haben die Naturzeitschriften nicht so gerne, und dadurch werden sicher die Veröffentlichungsmöglichkeiten dieser interessanten Bilder stark eingeschränkt. Allerdings gelang es mir - mit Geduld und Glück - manchmal den Moment abzupassen, wo Beutereste den Penis etwas verdeckten. (Masai Mara, Seite11).
Der Bildredakteur einer der größten amerikanischen Naturzeitschriften sagte mir einmal, daß er ganz tolle, sensationelle Tierbilder brauche, aber bitte ohne Sex, ohne Blut, und auch keine Fotos, wo Tiere andere Tiere essen. Wenn man aber Sex, Blut und essen fortläßt, was bleibt dann noch vom realen Leben in der Natur übrig, dann ist es reduziert auf eine Art Disneyworld.

Unsere amerikanischen Freunde sind schon etwas komisch: Da geben sie Waffen aus an jedermann, damit 20.000 Menschen dadurch jährlich getötet werden können; auf allen Fernsehkanälen werden die Leute mit Maschinengewehren reihenweise niedergemäht; in Horrorfilmen werden Glieder abgeschnitten, Därme kommen aus dem Mund von Monstern und allerlei Menschenteile werden durch den Fleischwolf gedreht - vor einem Millionenpublikum. Das ist anscheinend o.k. Aber wenn ein Pavian seinen kleinen Penis zeigt, dann ist das den Menschen nicht zuzumuten.

6. Oktober 1993

Seit Ende September war auch ein großes Fernsehteam der BBC in der Mara um Geparde und Löwen zu filmen. Sie hatten in einem Wäldchen ein stattliches Zeltlager errichtet. Mit mehreren Filmteams waren sie permanent unterwegs - alle untereinander und mit der Zentrale im Zeltlager per Sprechfunk verbunden. Außer den Wagen mit den Filmteams waren auch noch einige andere Fahrzeuge unterwegs, um ständig nach Motiven für die Filmteams zu suchen.

Wenn etwa ein 'Suchwagen' bei einem Löwenrudel stand, das nach Stunden des faulen Herumliegens plötzlich anstalten machte auf die Büffeljagd zu gehen, dann konnten per Sprechfunk schnell drei Filmteams herbeigerufen werden, und eine von den drei Crews würde dann bei der Jagd sicher optimal positioniert stehen, für Superfilmszenen. Auch konnte man so später aus dem Material aller drei Filmer die besten Szenen ( und Gegenschüsse) dieser Ereignisse zusammenschneiden.Traumhafte Arbeitsbedingungen für die Kollegen vom bewegten Bild.

Einen weiteren speziellen Wagen hatten die BBC-Leute mit, an dem war die Beifahrertür ausgehängt, und davor - etwa bis einen Meter nach außen - war ein Drahtkäfig gebaut und mit einer Zeltplane bespannt, woraus der Kameramann Szenen aus der Froschperspektive drehen konnte. Keine schlechte Idee, Cheetah etwa aus deren eigenen Augenhöhe zu filmen.

Ein weiterer Spezialwagen hatte einen femsteuerbaren Miniaturhubschrauber an Bord, der eine Filmkarnera tragen konnte. Den ließen sie nun aus großer Höhe vom Himmel etwa auf ein totes Gnu 'herabstürzen', um so zu demonstrieren, wie sich etwa ein Geier seiner toten Beute nähert, wenn er wie ein Stein vom Himmel fällt, und erst kurz vor dem Ziel abbremst. Tolle Idee!

Nicht ganz so gelungen das Vorhaben, mit diesem Hubschrauber die Gnus zu filmen, wenn sie den Mara-Fluß überqueren. Der kleine Hubschrauber war nämlich fast so laut wie ein großer, und als er die den Fluß kreuzende Herde anflog, rasten 6.000 Weißbartgnus in wilder Panik davon.

Darf man für eine zehn Sekunden dauernde Filmszene 6.000 Tiere in Panik versetzen? BBC darf es im Wildreservat Masai Mara und keiner sagt etwas dagegen, weil es ja für's Fernsehen ist. Den Ethikpreis für Naturfilmer wird die BBC-Naturfilmabteilung allerdings mit solchen Methoden wohl nicht gewinnen.

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11. Oktober 1993

Ein großes Problem für den Naturfotografen in Ostafrika ist, daß man lichtmäßig 'eigentlich' nur zwei gute Stunden am Morgen zur Verfügung hat, nachher wird das Licht schlechter und mit der aufkommenden Hitze läßt auch die Aktivität der Tiere nach.

Was macht man also am Morgen? Das Wichtigste, daß Interessanteste oder das Sicherste? Heute in der Früh' hatte ich die Wahl zwischen der Kontrolle ob Leoparden da sind, der Gepardin mit ihren vier Jungen, die jeden Morgen jagd, einer Löwin mit zwei ganz kleinen Babys, welche die Augen noch nicht einmal offen hatten, also noch keine Woche alt waren, und dem Mara-Fluß, wo manchmal schon um 7.00 Uhr Gazellen den Fluß überqueren, und dann von Krokodilen gefressen werden. Was tun ?


Ob eine Leopardin - Mutter oder Tochter - in der Felsenschlucht sein würde, war sehr unsicher.

*  Ob Thomsongazellen den Fluß durchqueren würden, war mindestens ebenso unsicher.

*  Das die Gepardin jagen würde, war dagegen sehr sicher - aber ob sie 'nur' ein Kitz, oder eine fotogene, ausgewachsene Gazelle 
    verfolgen würde, und ob die Jagd dann auch in Richtung meiner Kamera gehen würde, war auch wieder sehr unsicher.

*  Ob die Löwin mit den ganz kleinen Jungen etwas 'sinnvolles' - für die Kamera sinnvolles - tun würde, war auch nicht klar.

 

Es ist ein Jammer, daß man auf so viele gute Möglichkeiten verzichten muß, nur weil man sich nicht in fünf Teile aufspalten kann. Diesmal entschied ich mich für die jagende Gepardin. Die Chance, vielleicht eine Gepardin bei der Jagd auf eine ausgewachsene Thomsongazelle fotografieren zu können, war zu verlockend. Vor allem auch, weil die Wahrscheinlichkeit, so eine Jagd wirklich scharf abzubilden, durch die neuen 4.0/600 mm Objektive mit Autofokus erheblich gestiegen sind.

Manuell fokussierend zwei in vollem Tempo rennende Tiere nicht nur scharf, sondern wirklich scharf aufs Dia zu bekommen, ist fast aussichtslos. Hier hat AF unsere Chancen als Naturfotografen dramatisch verbessert. Daher reservierte ich jetzt zehn Vormittage hintereinander exclusiv für die jagende Gepardin, in der Hoffnung, dabei irgendwann eine oder zwei Jagden optimal zu erwischen. Optimal heißt, daß die Jagd in Richtung Kamera geht, und natürlich auch nahe genug stattfindet.
(Masai Mara, Seiten 74/75).

Das Mara-Serengeti Ökosystem mit seiner Olduvai-Schlucht kann man vielleicht als eine - oder sogar als die - Wiege der Menschheit bezeichnen. Und wenn es unsere Art Homo sapiens sapiens auch vielleicht erst seit 30.000 bis 100.000 Jahren gibt, so haben sicher andere Menschen- und Vormenschenarten hier möglicherweise seit 6 Millionen Jahren gelebt, denn so lange etwa existiert die Tierwelt dieses Systems.

Leider hatte ich nicht den Hauch einer Ahnung, wie ich das fotografisch umsetzen konnte oder sollte. Denn das die ersten Spuren menschlichen Lebens diesem Großraum zugeordnet werden können, und wir letztlich einer Gruppe von vielleicht nur 10.000 Individuen entstammen, die hier vielleicht vor 100.000 oder 500.000 Jahren gelebt haben, ist ja nicht uninteressant. Wer kann auch nur ahnen, wieviel Vormenschengenerationen etwa im Gebiet der Leopardenschlucht gelebt und gelitten haben? Aber wie das fotografieren und einen dies ahnbar machenden Eindruck im Bild vermitteln? Ich hatte keine Ahnung.

Eines Abends entdeckte ich die Lösung für mein fotografisches Problem: Zufällig fuhr ich mal wieder bei Einbruch der Dunkelheit durch die Leopardenschlucht, wie üblich auf der Suche nach Leoparden, als ich eine Gruppe von Anubispavianen auf den riesigen Felsbrocken der Leopardenschlucht sitzen sah - dunkel, drohend und geheimnisvoll wirkend als Silhouetten gegen den abendlichen Himmel. Das war die Lösung...(Masai Mara, Seite 15).

*Die Anmerkungen (Masai Mara, Seite xx) oder (Leoparden, Seite xx) am Ende mancher Absätze in diesem Bericht weisen auf die Seiten in den Büchern 'Masai Mara, Afrikas Garten Eden' (1. Auflage von September 1995) und 'Leoparden, die geheimnisvollen Katzen' hin, auf denen die Bilder zu sehen sind, über deren Herstellungs- und deren Erarbeitungsprobleme in dem betreffenden Absatz geschrieben wird.

1. Tour,  zweiter Teil:

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