1. Tour - 2.Teil

Von jetzt an fuhr ich jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit zur Leopardenschlucht, bis ich endlich einige Pavianbilder hatte, die in ihrer Schwermut und ihrer geheimnisvollen Stimmung durch das Dämmerlicht wie Aufnahmen von aktiven Vormenschen aus der Dunkelheit unserer Entwicklungsgeschichte wirkten (Masai Mara, Seite 15).
Sie sahen aus wie Wesen, die aus der Tiefe der Vorzeit kamen, im Aufbruch begriffen zu einem Millionen Jahre dauernden Marsch durch die Evolution - mit Ziel Cola-Cola light und interaktives Kulturfernsehen auf MTV, SAT-1 und RTL.

Spekulationen?

'Das Bindeglied zwischen Affe und Mensch sind wir' (Konrad Lorenz)

Zilpzalp und Fitis, die beide zu den Laubsängern gehören, weichen in ihrer DNS, also in den Strängen mit Molekülen, die sämtliche genetischen Informationen der Eltern für die jeweiligen Nachkommen enthalten, um 2,6% voneinander ab. Der genetische Abstand zwischen Schimpansen und uns ist aber nur 1,6 %.
98,4 % unserer DNS sind also ganz normale Schimpansen-DNS. In den restlichen 1,6 % sind anscheinend der aufrechte Gang, unser merkwürdiges Gehirn, und unser sonderbares Sexualverhalten gespeichert. Jahrzehnte haben wir im Weltraum herumgesucht, mit Fernrohren, Laserstrahlen, Richtmikrofonen und anderen elektrischen Wellen, immer in der Hoffnung, irgendwo doch einmal Lebenszeichen von anderen Menschenarten aufzufangen. Lustigerweise müssen wir jetzt so langsam erkennen bzw.
akzeptieren, daß diese anderen Menschenarten ja schon seit Millionen Jahren direkt neben uns leben, wir haben es nur nicht eher erkannt oder erkennen wollen. Heute erst sind wir geistig so weit zu sehen, daß Schimpansen und Gorillas vielleicht auch Menschenarten sind. Erfreulich an dieser Erkenntnis ist, daß wir uns jetzt nicht mehr alleine im unendlichen Weltall vorkommen müssen.

Aber sie wirft auch sofort weitreichende Fragen auf: Dürfen wir Menschenarten für medizinische Versuche benutzen? Dürfen wir Menschen in Zoos ausstellen? 'Homo' troglodytes, den Schimpansen ja, aber Homo sapiens nicht? Neuseeland hat eben als erstes Land der Erde den Menschenaffen Menschenrechte eingeräumt....

Und wenn wir akzeptieren, daß Schimpansen, Zwergschimpansen, Gorillas und Orang-Utans auch Menschenarten sind, können wir dann ruhig zusehen, wie sie in ihrer Heimat von Hyänen und Löwen getötet werden. Können wir mit ansehen, wie sie durch Krankheiten sterben, gegen die wir Heilmittel haben? Dürfen wir Heilmittel nur für eine Menschenart reservieren, aber sie den anderen vier Arten vorenthalten? Müssen wir Menschen einer anderen Art helfen, wenn sie sich etwa bei einem Unfall einen Arm brechen, oder können wir ruhig aus dem Landrover zusehen, wie sie an den Unfallfolgen leiden, oder sogar langsam verhungern, weil sie den Arm nicht mehr benutzen können?

Es wird in der nahen Zukunft noch recht schwierig werden, und sicher in den nächsten 10 - 20 Jahren heiße Diskussionen zu diesem Thema geben -. und wahrscheinlich auch noch etwas dauern bis alle akzeptieren, daßes nicht nur eine, sondern fünf Menschenarten auf unserem blauen Planeten gibt. Es hat ja auch etwas gedauert, bis alle - einschließlich unserer großen christlichen Kirchen - es geschluckt hatten, was uns Darwin mit seiner Theorie von der Entstehung der Arten eingebrockt hat.


12. Oktober 1993

Viele meinen, gute Naturfotografie in Afrika sei einfach, weil die Tiere kaum Fluchtdistanzen haben. Speziell Geparde seien kein Problem, weil sie sich in der Savanne nicht verstecken können..
Heute hatten wir die Gepardin mit ihren vier Jungen um 12.00 Uhr in der Mittagshitze verlassen sie lagen alle fünf im Schatten eines großen Baumes - in der Gewißheit, sie um 15.00 Uhr dort wiederzufinden. Als wir um 15.00 Uhr dort ankamen, waren die fünf Geparde weg. Im Umkreis von 5 km nur offenen Savanne - trotzdem waren sie nicht zu finden. Schließlich suchten wir die fünf Geparde mit inzwischen sage und schreibe 11 Autos, alle von den Camps der Umgebung und alle mit ortsansässigen Fahrern, die hier jeden Baum, jeden Stein und jedes Tier kennen. Um 17.00 Uhr - zwei Stunden später - entdeckten wir sie dann endlich, weil ein Junges in dem nur 20 cm hohen Gras einmal kurz den Kopf hob.
Des Rätsels Lösung: Zwischen 12.00 und 15.00 Uhr, als alle Wagen in den Camps waren, hatte die Gepardin nur wenige hundert Meter vom Baum entfernt einen zu sorglosen Thomsongazellenbock geschlagen. Die fünf hatten ausgiebig davon gefressen, und als dann gegen drei Uhr die Autos der Nachmittagstour kamen, lagen alle fünf flach im Gras der Savanne und schliefen, so daß nicht einmal 30-40 fernglasbewaffnete Insassen der 11 Autos sie in zwei Stunden fanden, trotz offener Landschaft und trotz der Gewißheit, daß eine Mutter mit vier kleinen Kindern in der Mittagshitze nicht weit laufen kann. - Das bei den 'einfachen' Geparden.

Wenn aber ein heimlicher und vorsichtiger Leopard auf einem Felsen liegt, und er geht nur zwei Meter zur Seite ins Gras oder in einen Graben, dann wird man ihn nie wiederfinden, wenn er nicht will. Da kann man mit 100 Autos suchen. Darum gibt es auch nur so wenige wirklich gute, lebendige Leopardenfotos. Meistens liegt er auf Bildern träge in einem Baum - alleine oder neben seiner Beute. Weil dies das einzige akzeptable Leopardenfoto ist, das man ohne riesigen Zeitaufwand und ohne mentalen Einsatz relativ einfach machen kann.

Wahnsinn

Wenn man mit Leuten unterwegs oder in den Camps ins Gespräch kommt, und man antwortet auf die Frage nach der Profession mit 'Naturfotograf', dann bekommen die meistens einen ganz verzückten Gesichtsausdruck und verklärte Augen, und es folgt unweigerlich der Satz: ' Ach, da sind sie aber zu beneiden'.

Daher habe ich einmal einen der zwölf Akte der naturfotografischen Oper 'Masai Mara - ein Juwel in Afrika' darauf hin analysiert, was diesen Beruf für die Leute eigentlich so faszinierend macht:
Die erste Tour für dieses Fotoprojekt dauerte drei Wochen, vom 27. September bis zum 19.
Oktober. Insgesamt 20 Stunden davon saß ich in Flugzeugen und 14 Stunden wartete ich auf Flugzeuge. 21 x acht Stunden lag ich im Bett und etwa 20 x zwölf Stunden saß ich in einem Toyota Landcruiser .

Der Tag eines Naturfotografen in Afrika sieht so aus, daß er um 5.00 Uhr am Morgen aufsteht, und dann sitzt er von 5.30 bis 18.00 oder 19.00 Uhr aufeinem harten, schlecht gefederten Autositz und wird permanent über miserable Wege transportiert.
Sitzen, sitzen... Abends sitzt man natürlich wieder beim Dinner, und die einzige Bewegung mit den eigenen Füßen die ein Naturfotograf in Afrika hat, sind die zweimal täglich 5 Sekunden dauernden Wege, wo er sich vom Bett zur Toilette schleppt, denn da sitzt er natürlich auch wieder. So kommt man auf insgesamt sieben Minuten Bewegung in drei Wochen. Die restlichen 503 Stunden und 53 Minuten verbringt man halt sitzend im Landrover, darauf wartend, daß sich vor dem Wagen die Wunder der Natur ereignen, sitzend oder liegend in der Lodge, oder sitzend auf dem Weg zum Flughafen, im Flughafen oder im Flieger .

Als Bonus kommt dann manchmal noch hinzu, daß - während man sich im Gate befindet - eine freundliche Stimme durch den Lautsprecher mitteilt, daá sich der Abflug 'geringfügig' verzögern wird, weil die Maschine zu spät eintrifft (Warum sie verspätet eintrifft erfährt man nie, weil das anscheinend die 300 Paxe nichts angeht), oder weil es eine geringfügige, an sich völlig bedeutungslose technische Unregelmäßigkeit gegeben hat, aber man aus Sicherheitsgründen doch lieber ein Ersatzteil einfliegen lassen wird, welches aber schon unterwegs ist.

Inzwischen würde es - auf Kosten der Fluggesellschaft (Ehrensache) - im Flughafenrestaurant eine warme Mahlzeit geben (was bedeutet, daß die Verspätung mindestens 5- 7 Stunden beträgt), was aber nicht schlimm ist, weil man ja sitzen kann.
Während man dann die Verspätung absitzt, bevor der 8-10-stündige Flug beginnt, kommt man mit Leuten ins Gespräch, und wenn man dann auf die Frage nach dem Beruf mit 'Naturfotograf' antwortet, bekommen die immer so einen. . .

Zuhause angekommen sitzt man dann wieder: Zuerst mindestens eine Woche vor dem Leuchtpult, um die 200 entwickelten Filme der Tour zu begutauchten = 7.000 Dias zu bewerten und 6.000 davon wegzuschmeißen. Die restlichen 1.000 werden dann bestimmt, beschriftet, gestempelt und archiviert oder verschickt.
In der zweiten Woche sitzt man dann am Schreibtisch um den liegengebliebenen Postberg der letzten vier. Wochen abzutragen, und wenn man das nach einer weiteren Woche geschafft hat, dann darf man endlich aufstehen - aber nur, um zum Flughafen zu fahren und die nächste Sitzrunde einzuläuten.
Meine Frau wundert sich immer, warum meine Schuhe ewig halten, aber meine Hosen dauernd durchgescheuert sind. . .

14. Oktober 1993

Schöner Morgen - oder: Alle Theorie ist grau!

Am Abend gegen 18.30 Uhr hatten wir die Leopardin mal wieder entdeckt, und waren am nächsten Morgen natürlich ganz früh wieder dort. Gegen sieben Uhr machte sie einen Jagdversuch auf 10 Thomsongazellen und hatte sich schon bis auf 5 Meter angeschlichen. Schußbereit mit frischem Film erwartete ich ihren Angriff. Leider wurde sie dann von zwei Löwen und einem Masai gestört und floh auf einen hohen Baum, wo sie anscheinend den Vormittag bleiben wollte.

Also fuhren wir weiter zur etwa 45 Minuten entfernten Gepardin mit den vier Jungen, nur um dort festzustellen, daß sie vor wenigen Minuten ein erwachsenes Impalaweibchen geschlagen hatte. Also war auch hier nichts mehr zu machen.

Die Weiterfahrt zum Mara-Fluß brachte dann dort von einem Kollegen die 'erfreuliche' Auskunft, daß vor zehn Minuten achtzig Thomsongazellen den Fluß durchquert hatten, und das dabei das große, dreibeinige Krokodil Tripod (Stativ) mitten im Fluß eine Thomsongazelle erwischt hatte. Wir nannten das Krokodil so, weil es eben nur drei Beine hatte.

Wenn der Masai die beiden Löwen nicht aufgescheucht hätte, und die dann meinen Leoparden nicht vertrieben hätten, und die beiden anderen Ereignisse jeweils etwas später stattgefunden 'hätten', dann wäre dies ein Morgen mit drei sensationellen Bildern geworden. Hätte der Hund. . . So war es halt ein Vormittag der verpaßten Gelegenheiten geworden.

Es stellt sich eben immer wieder die Frage, welche Strategie die bessere ist: Konsequent von 6.00 Uhr morgens bis um 18.00 Uhr am Abend nur bei Leopard, Gepard oder Krokodil zu bleiben, um dann nichts, oder eine Sache gut zu bekommen; oder zu versuchen, drei Arten am gleichen Tag zu fotografieren, um dann alles, eine Art oder auch wieder nichts zu bekommen ?

Im Augenblick tendiere ich dazu, lieber nur eine Sache konsequent zu machen, wenngleich das oft nervtötend langweilig ist. - Es bleibt schwierig. . .

Magengeschwüre

Das Schlimmste an der Tierfotografie in Ostafrika ist, daß man eigentlich nur zwei Stunden früh am Morgen zur Verfügung hat mit optimalen Bedingungen: wundervolles Licht und aktive Tiere. Man muß sich also am Abend vorher für eine der vorhandenen Optionen entscheiden - und man wählt natürlich die falsche.

Heute war wieder einmal so ein wundervoller Tag, wo alles 'kurz vor der Toilette in die Hose ging'.
Gestern Abend hatte die junge Leopardin ein nur eben angefressenes Impala im Baum zurückgelassen. Sie würde also heute in der Frühe ziemlich sicher dort in der Gegend anzutreffen sein. Ebenso sicher würde die Gepardenmutter am Vormittag zwei- bis dreimal jagen gehen; und es war sehr wahrscheinlich, daß Thomsongazellen am frühen Vormittag versuchen würden, den Fluß zu überqueren, und dann ist damit zu rechnen, daß die Krokodile zuschlagen.

Auf dem Weg in's Gebiet entdeckten wir ein Zebra, das nicht mehr aufstehen konnte, obwohl es einen völlig gesunden Eindruck machte. Es versuchte sich bei unserer Annäherung immer wieder zu erheben, brach aber jedesmal auf halber Höhe wieder zusammen. Wenn das in den nächsten 2-3 Stunden Löwen oder Hyänen bemerkten, würde es hier dramatische Momente geben. Was tun?
'Gepardin erbeutet Thomsongazelle', , Junger Leopard trägt Impala in einen Baum " 'Krokodil schlägt Grantgazelle' oder 'Löwen überwältigen Zebra'? Zuhause hat man oft monatelang überhaupt keine Chance, und hier muß man sich an einem Vormittag zwischen vier entscheiden.

Diesmal entschied ich mich für den Fluß, und es wurde ein halber Erfolg. Gegen 9.00 Uhr kreuzten etwa 1.000 Gnus und einige Topis den Fluß, wobei ich einige hübsche Fotos der Gnuherde machen konnte. Der Krokodilkampf war leider ein fotografischere Mißerfolg. Das Krokodil Tripod machte es sich diesmal sehr bequem: Es zog einfach mitten im Fluß ein Topi an einem Hinterbein nach unten und hielt es unter Wasser fest, bis es nach 10 Minuten ertrunken war. Nichts sichtbar dramatisches für die Kamera passierte - nur der Kopf des Topi tauchte immer wieder auf, wenn es versuchte Luft zu bekommen und zu entfliehen. Aber es hatte keine Chance: Stativ hielt es einfach am Bein fest - mehr brauchte das Krokodil nicht zu tun, was es auch ganz offensichtlich wußte. Das war zwar höchst effektiv und ökonomisch für das Krokodil, aber leider nicht sehr fotogen für die Kamera.

Höchste Dramatik - eine Situation auf Leben und Tod,
fotografisch aber nicht sichtbar zu machen.
Das Krokodil hält das Topi einfach unter
Wasser am Bein fest und wartet,
daß die Kräfte das Tier
verlassen und es
ertrinkt.

* * *