Fritz Pölking <-Zurück

Der Schneeleopard

Ein Geist in den Hochgebirgen Asiens - selten, geheimnisvoll,
gefährdet und fast noch nie fotografiert.

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Wegen des trockenen Klimas liegt auch im tiefsten Winter und bei
großer Kälte im Altai-Gebirge nur wenig Schnee

Die großen Museen der Welt haben in der Vergangenheit etliche Expeditionen losgeschickt, um das Leben des Schneeleoparden zu erforschen; der aber trotzdem immer noch die am wenigsten bekannte Großkatze ist. Entdeckt wurde der Schneeleopard 1761 durch Nordamerikaner, und zwei Wissenschaftler haben sich besonders hervorgetan und Pionierarbeit geleistet in der Erforschung des Lebens dieser faszinierenden Katze: Georg Schaller in den 70er Jahren in Pakistan und Rodney Jackson in Nepal in den 80er Jahren.

Der Amerikaner Peter Matthiessen begleitete einmal Georg Schaller auf einer seiner Monate dauernden Schneeleoparden-Expeditionen, und schrieb sogar ein Buch darüber. Er hat auf der ganzen Expedition allerdings überhaupt keinen zu sehen bekommen. Nur Schaller selber hatte eine kurze Begegnung Wie Matthiessen in seinem Buch schreibt, gab es bis dahin nur zwei Weiße, die in den letzten 25 Jahren einen Schneeleoparden in Freiheit zu Gesicht bekommen haben. Schaller selber hatte in den vielen Jahren seiner Feldforschung nur drei Schneeleoparden gesehen: zwei ausgewachsene Exemplare und ein Jungtier. Madan Oli, ein anderer Forscher aus der kleinen Gruppe von Menschen, die je diese Katze beobachten konnten, sah den Schneeleoparden in zwölf Monaten Vollzeit-Feldstudien nur zweimal. Rodney Jackson und Darla Hillard waren etwas erfolgreicher: sie sahen den Geist der hohen Berge Asiens in vier Jahren Feldstudien immerhin achtzehnmal.

Die Geschichte der Erforschung des Schneeleoparden ist also bisher nicht sonderlich erfolgreich verlaufen, denn wenn man etwa vier Jahre in einem Zeltcamp hoch in den schroffen Bergen hockt, um diese Feline zu erforschen, und sie dann vielleicht alle drei Monate mal eben für einen Moment sieht, oder auch nur alle sechs Monate, dann ist das nicht nur für die Forscher sehr frustrierend, sondern bringt auch nicht unbedingt ein Übermaß an Erkenntnissen. Daher sagte wohl Georg Schaller zu recht: 'Es ist immer noch so gut wie nichts bekannt über das Leben dieser Katze'.

Noch lustiger als die Geschichte ihrer Erforschung, ist die Geschichte der Versuche, ihr Leben in Freiheit fotografisch zu dokumentieren.

Georg Schaller gelang 1970 in den Hindu Kush Bergen von Pakistan die erste bekanntgewordene Freilandaufnahme eines Schneeleoparden. Rodney Jackson und Darla Hillard stellten in den 80ern bei ihren Forschungsarbeiten im Himalaya eine Fotofalle auf, und sie bekamen in 561 Nächten, also in fast zwei Jahren, lediglich vier brauchbare Bilder, wo sich die Katze selber fotografiert hatte. Das ist auch schon alles an bisher bekanntgewordenen Bildern vom geheimnisvollen Schneeleoparden.

Alle anderen Fotos die man manchmal sieht, sind entweder in Zoos oder Gamefarmen aufgenommen, oder es sind Tiere, die von Wissenschaftlern in einer Schlingenfalle gefangen sitzen und schlecht fortlaufen können, oder sie waren betäubt worden mit dem Narkosegewehr um ihnen ein Halsband mit Sender umzuhängen, damit man nachher, wenn sie wieder in die Freiheit entlassen worden sind, ihre Wege durch die Funksignale nachvollziehen kann.

Vielleicht gibt es irgendwo noch einige Belegfotos, die von Wissenschaftlern gemacht worden sind, aber nach allem was bisher bekannt geworden ist, existierte bis 1996 nur eine einzige wirkliche Aufnahme des Schneeleoparden: die, welche Georg Schaller 1970 aufnahm.

 

Vorkommen

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Schneeleopardenbeute: die Reste eines weiblichen
Steinbocks. Der Leopard hat seine Beute sorgfältig
verzehrt und nichts übriggelassen. Nur die kleinen
Singvögel finden am Skelett noch einige
Fleischbrocken.

Niemand kann die Frage beantworten, wieviele Schneeleoparden es in Freiheit gibt. Forscher haben errechnet, daß es höchstens 7.000 sein können, vielleicht aber auch nur 4.ooo. Die Mongolei gibt für ihr Land einen Bestand von 1.700 Exemplaren an. Weitere Vorkommen gibt es in Indien, Pakistan, Afghanistan, Nepal, Bhutan, Tibet, China und den zentralasiatischen Republiken der früheren UdSSR. Sie leben dort in Höhen zwischen 3000 und 6000 m, und vorzugsweise in Bergregionen, die weit entfernt von Straßen und Dörfern liegen. Die Bergregionen mit schroffen Steilwänden, einem nicht sehr reichhaltigen Nahrungsangebot und die strengen Winter mit viel Schnee und großer Kälte, machen das Leben für diese Katze nicht sehr einfach, aber auf der anderen Seite gibt ihr diese menschenunfreundliche Umwelt die Chance zu überleben. Auch der Mt. Everest, der höchste Berg der Welt, ist Heimat des Schneeleoparden. .

Sein Streifgebiet ist 12 bis 40 qkm groß, kann aber auch l00 qkm sein, je nach Nahrungsangebot. Er lebt hauptsächlich von wilden Unpaarhufern, wie Blauschafen, Steinböcken, Schraubenziegen und dem Argali. Im Sommer erbeutet er gerne Himalaya-Murmeltiere und im Winter das Vieh der Bergbauern. Sicher wird er aber auch -wie jeder Leopard - auch Vögel und Kleintiere nicht verschmähen.

Keine andere Katze lebt in so großen Höhen wie er, wenngleich er im Winter seinen Beutetieren in tiefere Lagen folgt, bis auf etwa 1800 - 2000 m.

Er bevorzugt felsiges Terrain, wo er von Kliffs und Felsspitzen aus seine Beute entdecken und beobachten kann. Er ist superb adaptiert an das Leben in Felsen in großen Höhen durch sein dichtes Fell und eine Färbung desselben, die ihn schon auf kurze Entfernung fast unsichtbar macht.

 

Beschreibung des Tieres

So ganz einig sind sich die Wissenschaftler noch nicht, ob der Schneeleopard zu den Großkatzen gehört, und daher hatte er früher (und zum Teil noch heute) den Gattungsnamen 'Uncia', wogegen man ihn seit einiger Zeit doch mehr und mehr in die Gattung 'Panthera' einordnet, also zusammen mit Löwe, Leopard und Tiger.

Sein wissenschaftlicher Name wird heute überwiegend mit Panthera uncia angegeben, also der Gattung Großkatzen, obwohl der Schneeleopard wie eine Kleinkatze seine Nahrung im Hocken ißt, und nicht wie alle anderen Großkatzen im Liegen.

Der Schneeleopard hat viele Namen: Irbis (Rußland, Mongolei), Sah (Tibet), Shan (Laddak), Barfani chita (Hindi, Urdu) und Heung chitawa (NepaI). Er hat eine Körperlänge von 1,2 - 1,5 m oder 2 m, wenn man den Schwanz mitmißt. Er kann in Freiheit 40 -60 kg wiegen (manchmal bis zu 75 kg), bei einer Schulterhöhe von 60 - 78 cm.

Seine Fellfarbe variiert von weiß zu creme zu gelblich oder grau, und sein dichter Pelz schützt ihn sowohl vor Kälte als auch vor Sonne. Seine Pranken mit einem dichten Sohlenpolster verhindern, daß er im Schnee allzutief einsinkt. 16 m wurde bisher als größte Entfernung im Weitsprung für den Schneeleoparden gemessen, und damit dürfte er den Weltrekord in dieser Disziplien unter allen Lebewesen auf diesem Planeten innehaben.

 

Verhalten und Beute

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Katzenklo! Wo Schneeleoparden vorkommen, findet
man diese 'Tätigkeitenachweise' im Winter häufig.
Sie sind wohl auch ein Teil des sozialen
Markierungssystems aus Duftmarken und Kratzspuren.

Seine heimliche Lebensweise und vor allem die für Beobachtungen durch Menschen nicht sehr geeigneten zerklüfteten Gebirgslandschaften die er als Lebensraum bewohnt, machen Beoachtungen extrem schwierig. Er ist dämmerungsaktiv und ein Einzelgänger; nur in der Paarungszeit und wenn die Weibchen ihre Jungen ins Leben einführen, sind sie nicht alleine.

Die Paarung findet gegen Ende des Winters oder im frühen Frühjahr statt, und die zwei bis drei Jungen werden 90-100 Tage später geboren. Man sagt, daß die Jungen über ein Jahr bei der Mutter bleiben, wahrscheinlich sogar 16-18 Monate. Wenn sie keine Beute haben, neigen sie dazu, jeden Tag ein anderes Gebiet aufzusuchen. Mit einer großen Beute sind sie manchmal bis zu einer Woche lang beschäftig, und bleiben dann natürlich die ganze Zeit in ihrer Nähe.

Die sogenannten Katzenklos gehören wohl auch in das soziale Markierungssystem von Duftmarken und Kratzspuren, welches vielleicht untereinander die Erkennung einzelner Individuen ermöglicht. Darauf läßt auch schließen, daß sie besonders häufig während der Paarungszeit von Januar bis März zu finden sind

 

Schutz

87% der örtlichen Bevölkerung in seiner Heimat Südostasien sind für eine radikale Ausrottung des Schneeleoparden. Die Zeitung 'The Mongol Messenger' berichtete am 9.6.1995 auf Seite 3, daß der mongolische Zoll 1994 alleine 200 Felle beschlagnahmt hat, bei einem Gesamtbestand von 1.700 Exemplaren im ganzen Land. Für ein Fell bekommen die Dörfler aus Bhote etwa 10 US Dollar. Für einen Mantel braucht man 16 Felle. Er wird verkauft 'für 60.000,- US Dollar.

Einziger - vielleicht - wirksamer Schutz wäre die Errichtung von Nationalparks für den Schneeleoparden, ausgestattet mit wirklich ausreichenden finanziellen Mittel aus Europa und Nordamerika. Denn wir sind die einzigen, die ihn wirklich schützen wollen, allen anderen ist es mehr oder weniger egal, ob er ausgerottet wird - falls sie es nicht sogar begrüßen.

 

Tagebuch einer Begegnung

Juli 1995:

Hoch in den Bergen des Trans-Altai-Gobi Nationalparks in der südlichen Mongolei hatte ich mein Zelt neben der Jurte einer Hirtenfamilie aufgeschlagen.

Hier oben wollte ich nach dem legendären und geheimnisvollen Schneeleoparden suchen, der bisher in Freiheit noch kaum wirklich fotografiert worden war. Es gab nur einige Amateurschnappschüsse von Wissenschaftlern, die aber mehr oder weniger nur als Beleg- oder Erinnerungsfotos gelten konnten.

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Ein seltenes Dokument: drei Spuren von
Schneeleoparden kreuzen sich hier. Zwei von Tieren
die bergaufwärts zogen und eine Spur eines
Exemplares, das bergab gekommen ist.

Nach einigen Tagen stellte ich fest, daß ich zur falschen Zeit am falschen Platze war. Es war nicht einmal ein Hauch von einem Schneeleoparden zu sehen oder auch nur zu ahnen. Erstens waren die Berge viel zu steil und zu hoch, um sie systematisch absuchen zu können, zweitens ernährten sich die eleganten weißen Katzen jetzt im Sommer vorzugsweise von Murmeltieren, die leider in den höchsten Höhen des Gebirges leben, und drittens konnte man ohne Spuren im Schnee nicht feststellen. ob überhaupt - und wieviel und wo - welche da waren. Wissenschaftler haben es da einfacher: die brauchen ihre Katzen nur zu fangen und mit Sendern am Halsband auszustatten..

Eine Chance sah ich nur später im Jahr, wenn die Murmeltiere sich im September zum Winterschlaf in ihre Bauten zurückgezogen hatten, und der Schneeleopard deshalb auch tiefere Lagen der Gebirge aufsuchte, um Nahrung zu erbeuten. Daher brach ich meinen ersten Versuch, Schneeleoparden zu beobachten und zu fotografieren, schon nach einer Woche ab.


Januar 1996:

Im Djunga-Gobi Nationalpark hatte ein Schneeleopard in diesem Monat ein Pferdefohlen erbeutet: Der Viehzüchter war nicht begeistert. Pferde sind ein sehr wertvoller Besitz und gehören praktisch zur Familie. - Einen Tag später war der Schneeleopard (laut Gerücht) tot.

Im Winter wird die Ernährungslage für die großen Katzen kritischer, weil die Murmeltiere fehlen. Letzte Woche kam eine Schneeleopardenmutter hier mit ihren drei Kindern im Alter von etwa 10 Monaten in zwei aufeinanderfolgenden Nächten ins Tal herunter und tötete bei einem Hirten jedesmal ein Yak...

Es ist um diese Jahreszeit für eine Leopardenmutter schwierig, für sich und für drei große Kinder genügend Nahrung zu erbeuten. Da ist der Hunger groß - und die zahmen Weidetiere der Mongolen eine leichte und verführerische Beute... Einige Tage später waren alle vier Leoparden (laut Gerücht) tot.

In einem relativ kleinen Gebiet von vielleicht 50 qkm, in dem ich mich jetzt aufhielt und Informationen bekam, waren also in nur einem Monat (vielleicht) fünf Tiere getötet worden. Wieviel Schneeleoparden werden wohl in den zwölf Monaten eines Jahres in der ganzen Mongolei getötet - und in China, Rußland, Nepal usw., obwohl er theoretisch überall ganzjährig geschützt ist?

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Der Autor auf dem Weg zur Arbeit, der Suche nach Schneeleoparden im
mongolischen Altai-Gebirge. Das ganz Jahr über ist der Naturfotograf unterweg
in den Paradiesen der Welt, von der Antarktis bis hin in den hohen Norden, von
den Pinguinen über die Löwen und Leoparden hin bis zu den Eisbären. Dieses
Leben eines Naturfotografen ist nicht einfach -aber: einer muß es ja machen...

Eine kleine Ahnung vermittelt vielleicht die Meldung, welche die Tageszeitung Ulaanbaatar-News im Oktober 1995 brachte, wonach auf dem dortigen Flughafen im letzten Jahr 200 Felle beschlagnahmt worden waren. Wenn man die bei der Polizei übliche Zahl zugrunde legt, daß nur etwa 5 % aller Schmuggelfälle entdeckt werden, dann kommt man auf eine riesige Zahl jährlich getöteter Schneeleoparden.

Die Familie, bei der ich hier im Altaigebirge lebte, hat etwa 100 Schafe, 100 Ziegen, 20-30 Rinder und Yaks, 5 Kamele und 20 Pferde. Im letzten Jahr hatten die Großtiere (Pferde, Rinder und Yaks) zusammen 7 Junge bekommen -keines davon überlebte. Zwei starben an Kälte oder Krankheiten, und fünf wurden von Wölfen und Leoparden getötet.

Eine Tragödie für die Familie: die tierische Ernte eines ganzes Jahres war praktisch vernichtet.

Es ist sehr leicht und sehr bequem, in Europa und Amerika den strengen Schutz aller Schneeleoparden zu fordern, weil es ja überhaupt keine Opfer für uns bedeutet. Von anderen zu verlangen, große Verluste klaglos für den Naturschutz zu akzeptieren, ist einfach und billig.

Ein schönes Beispiel für die Lippenbekenntnisse der Europäer erlebte ich im letzten Herbst in Deutschland im Bayerischen Wald. Dort wollte die Regierung des Freistaates Bayern den seit 25 Jahren bestehenden Nationalpark etwas vergrößern, und zwar um Waldgebiete, die sowieso dem Staat gehörten. Keiner hätte also Opfer bringen müssen. Trotzdem brach bei den Einheimischen ein Sturm der Entrüstung los; die Gemeinden Freyung und andere veranstalteten Protestversamlungen, bei denen die Befürworter hinweggefegt wurden. Alles nur, weil die Einheimischen bei einer Umwandlung des Staatsforstes in einen Nationalparkteil nicht mehr quer durch den Wald laufen dürfen, sondern auf den ausgeschilderten Wanderwegen bleiben müssen..

So sind wir Menschen: Andere sollen sich ihre komplette Jahresernte klaglos vernichten lassen, aber selber will man nicht einmal auf den Wegen bleiben..

Wenn man den Schneeleoparden wirklich schützen will, muß man den dort lebenden Menschen die Verluste ihrer Tiere, zumindest finanziell, ersetzen. Das ist ganz einfach: Durch Schneeleoparden getötete Tiere erkennt man an dem Tötungsbiß in Nacken oder Kehle, und daran, daß er immer von den 'Schinken' her anfängt, seine Beute zu verzehren. Wenn die westlichen Naturschutzorganisationen und Regierungen diese wunderschöne Katze wirklich ernsthaft schützen und erhalten wollen, dann sollten sie ausreichend Mittel zur Verfügung stellen, daß die Menschen entschädigt werden. Alle anderen Absichtserklärungen sind nur bedrucktes Papier..

Februar 1996:

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Langsam entfernt sich der Schneeleopard. Man kann auf diesem Bild gut
erkennen, daß sein Schwanz wesentlich buschiger ist, als der des Leoparden
in Afrika.

Anfang dieses Monats suchten wir den Höhenkamm eines Berges auf einer Länge von etwa 3 km systematisch nach Spuren ab, und fanden dabei vier Beutetiere des Schneeleoparden: ein weiblicher Steinbock, ein Pferdefohle und zwei Yakkälber also ein Wildtier und drei Weidetiere!

Ein Yakkalb war schon völlig aufgefressen, und den Spuren nach zu urteilen hatte es die Katze drei Nächte hintereinander besucht. Das andere Yakkalb war nur eben an den Keulen angefressen und zeigte 'wunderschön - wie aus dem Lehrbuch' den Tötungsbiß des Leoparden an der Kehle seines Opfers. Das neun Monate alte Pferdefohlen war schon etwa zwei Wochen tot, und an dem Steinbock hatte ein Leopard auch schon zwei bis drei Nächte gefressen, wie uns die Spuren verrieten. In der letzten Nacht war er wohl letztmalig hiergewesen, denn viel war nicht mehr übrig.

Dieser Bergrücken schien ein guter Platz zu sein, um den nachtaktiven Irvis einmal zu sehen, denn wir fanden wohl an die 20 'Katzenklos', und etliche Spuren von und zu anderen Bergen zeigten uns, daß dies keine schlechte Gegend wäre für jemanden, der trotz Schnee und 30 Grad Celsius unter Null in 2.000 bis 4.000 m Höhe unbedingt eine dieser geheimnisvollen Katzen sehen und fotografieren wollte.

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Der Schneeleopard kommt über den Bergkamm und zieht auf die Kamera zu.
Der Naturfotograf scheint ihn nicht zu interessieren.

Eines nachmittags im Februar gegen 16.30 Uhr - in wunderschöner Abendsonne - war es dann soweit: wir ritten langsam über einen Gebirgskamm, immer nach Spuren und Zeichen der großen Katze Ausschau haltend, als wir 'zwei' Schneeleoparden sahen: einer verschwand eben über einen etwa drei Meter hohen Felsgrat, und der andere legte sich davor und beobachtete uns.

Die beiden Katzen waren etwa gleich groß, also war es kein Pärchen in der Phase der Paarung, und auch nicht Mutter und Kind, sondern es mußten Geschwister vom Frühjahr 1994 sein, also jetzt etwa knapp zwei Jahre alt.

Nach einiger Zeit schlich auch der zweite Schneeleopard davon, und entfernte sich um den Felsenabhang herum in die gleichen Richtung, wohin auch der andere verschwunden war.

Unendlich vorsichtig und langsam versuchte ich nun von der anderen Seite her zu Fuß um dem Felsen herumzukommen, und die 20-30 m abzusteigen, um dann in etwa in der Höhe zu sein, wo die beiden etwa 30-50 m weiter links sein müßten.

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Eine wundervolle und perfekte Anpassung an den Lebensraum ist die Zeichnung
des Felles vom Schneeleoparden. Hier kommt einer in nur etwa zehn Meter
Entfernung direkt auf den Naturfotografen zugelaufen, und trotzdem ist er kaum
zu sehen.
Das ist wahrscheinlich auch mit ein Grund, warum es wo wenig
Schneeleopardenbeobachtungen gibt. Wenn man ihn auf zehn Meter schon
kaum sieht, dann wird man ihn auf fünfzig Meter überhaupt nicht erkennen.
Dieses Exemplar läuft sicher nur deshalb so völlig unbekümmert auf den
Naturfotografen zu, weil zwischen ihm und dem Menschen eine Schlucht etwa
200 Meter in die Tiefe geht. Und der Schneeleopard 'weiß' vielleicht, daß ihm
unter diesen Voraussetzungen keine Gefahr droht.

Als ich endlich freie Sicht hatte, bot sich mir ein fantastisches Bild: der erste Schneeleopard hatte sich in einer Höhle versteckt, und der zweite ihn besucht, aber meine Anwesenheit nicht für so gravierend gehalten, daß er nun ebenfalls ein Versteck aufsuchte. Er blieb erst einige Minuten bei seinem Geschwister, kletterte dann etwas höher auf einen Vorsprung - und verschwand dahinter. Kurze Zeit später kehrte er zurück und - lief direkt auf meine Kamera zu: der Naturfotograf mit seinem Teleobjektiv schien ihn nicht im Geringsten beeindruckt zu haben.

Das in derselben Situation die eine Katze sich versteckt und die andere unbekümmert umherbummelt, ist typisches Leopardenverhalten, das ich in Afrika schon oft beobachtet habe. Dort folgte ich etwa einer Leopardenmutter mit ihren Kindern über Jahre hinweg mit meiner Kamera, und es war interessant zu sehen, wie sorglos der Sohn und wie vorsichtig dagegen die Leopardentochter war. Er lief oft 10-20 m voraus, wenn die Familie wanderte, wogegen die Tochter an der Seite von Mutter blieb. Wenn es galt, unbekanntes Gelände zu überqueren, dann wartete die Tochter immer, bis Mutter und Bruder vorausgegangen waren und Sicherheit signalisierten: dann erst folgte sie.

Auch dieses sich 'verstecken' mit dem Kopf in der Höhle und den Körper sichtbar zu lassen, habe ich schon etliche Male bei Leoparden beobachtet. Vielleicht glaubt das Tier, wenn es die Gefahr nicht sieht, kann die Gefahr auch sie nicht sehen. Als Verteidigungsstellung ist diese Position sicher denkbar ungeeignet.

Ich erinnere mich noch gut an eine Situation mit einer afrikanischen Leopardin vor etwa drei Jahren, als diese eines Morgens eines ihrer etwa 2 Monate alten Jungen - im Maul tragend - zu einer neuen Höhle brachte. Dabei wurde sie auf halbem Wege von einer Horde Paviane überrascht, die sie sofort angriffen. Mit dem Kind im Maul hatte sie nicht viel Chancen, und deshalb flüchtete sie in eine kleine Höhle, und ließ auch hier den Schweif heraushängen. Die Paviane hatten soviel Mut, sich der Leopardin so weit zu nähern, daß sie ihr mehrere Male an den Schweif faßten, aber ohne dran zu ziehen oder hineinzubeißen. Die Leopardin rührte sich nicht, sondern wartete regungslos ab, bis die Paviane schließlich abzogen.

Auf Grund dieser Erfahrungen hätte ich also - theoretisch - hier einem freilebenden Schneeleoparden gefahrlos am Schwanz ziehen können. Welch eine unglaubliche Vorstellung! Drei Gründe sprachen dagegen: Erstens bin ich kein mutiger Mensch, zweitens soll man Respekt vor seinen Mitgeschöpfen haben, und drittens war ich zwar in gleicher Höhe, aber doch getrennt durch einen unüberwindlichen Einschnitt - zwar nur etwa 10 m breit, dafür aber 200 m tief.

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Zwei Schneeleoparden! Während man von einem nur die weiße Schwanzspitze
im Schatten der Felskante sehen kann, zieht der andere vorbei, und hält dabei den
Naturfotografen genau im Auge.

Nach etwa einer guten halben Stunde wurde es dem einen Schneeleoparden wohl zu langweilig, und er verschwand im Felsgewirr, wogegen der zweite immer noch regungslos in der Felsspalte ausharrte, als wir - leider - wegen der kommenden Dunkelheit den Gebirgskamm verlassen mußten, um den steilen Abstieg noch bei Tageslicht zu schaffen.

In zwei- bis viertausend Meter Höhe in der Winterkälte von bis zu minus 30 Grad Celsius im Altai-Gebirge herumzuklettern, ist weder besonders lustig noch einfach. Daher hatte ich auch nur eine kleine Fotoausrüstung mitgenommen: die Nikon F4 mit den Objektiven 2,8/35 mm, 4.0/80-200 mm und dem Nikkor 5,6/400 mm mit dem 1,4x Konverter TC14b. Dazu einige Fujichrome-Diafilme Sensia-100, daß leichte Gitzo Carbonstativ Mountaineer, und für die Kamera vier Lithium-Batterien. Alles bewährte sich prächtig unter den hier herrschenden Bedingungen: die Ausrüstung war - so eben - in den steilen Bergen noch tragbar, daß Carbon-Stativ in der extremen Kälte sehr angenehm (man konnte es anfassen ohne kleben zu bleiben oder einen Kälteschock zu bekommen), und die Batterien arbeiteten auch bei den Minustemperaturen einwandfrei, so daß mir doch einige Bilder dieser -zumindest für mich - denkwürdigen Begegnung mit den Geistern der Hochgebirge Asiens gelangen.

 

In Zoologischen Gärten

Es leben etwa 300-500 Schneeleoparden in Zoologischen Garten, Gamefarmen und ähnlichen Einrichtungen. 230 Exemplare sind in So amerikanischen Zoos (USA und Kanada), und sie sind praktisch der Inhalt eines Schneeleoparden-Überlebensprogramm, falls er in Freiheit ausgerottet wird. Zoobiologen glauben, mit dieser Anzahl 90% des genetischen Programms dieser Art über die nächsten 200 Jahre retten zu können. Dann ist die Menscheit -vielleicht- so weit, daß diese Katze auch in Freiheit überleben kann, oder dann ist es so weit, daß wir uns über Schneeleoparden-Schutzprogramme keine Sorgen mehr machen müssen, weil wir dann ganz andere haben, oder -so oder so - überhaupt keine mehr.

last update: 29. Oktober 2001,